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Freundschafts-Mythos

Aus der Stadtbücherei habe ich mir das Buch Mit Autismus leben von Christine Preißmann ausgeliehen. Sie soll sehr empfehlenswert sein, eine Ärztin, Autorin, Psychotherapeutin, die auch als Betroffene das Thema sehr gut kennt.

Ich will mich nicht mehr gross weiter in das Thema vertiefen - ich habe das vor ca. 15 Jahren gemacht - aber so als Abschluss wird es nicht schlecht sein, denke ich. (Abgesehen davon, finde ich es besser, mich auf das jeweiligen Individuum einzulassen, denn erstens ist niemand DAS Syndrom oder DIE Krankheit (was es auch immer sei) und zweitens ist Autismus ein sehr grosses Spektrum.)

Auf Seite 115 im zweiten Abschnitt schreibt sie was, das kann ich nicht unwidersprochen stehen lassen. Es geht um Freundschaften (Autisten tun sich oft schwer damit) und was für Vorteile "normale" Menschen mit ihrer grossen Anzahl an Freundschaften haben.
"Menschen, die viele Freunde haben, können von deren unterschiedlichen Kompetenzen sehr profitieren, erhalten also durch die anderen zusätzliches Wissen, neue Fähigkeiten und Fertigkeiten, die sie nutzen können. Wenn man also etwa Handwerker, Steuerberater, Anwälte, Ärzte, Buchverleger oder Finanzexperten kennt, kann man viele Anforderungen des Alltags bereits bewältigen, bevor man sich an professionelle Adressen wenden muss."

Das stimmt so nicht. Ich habe wohl einen grossen Bekanntenkreis, bunt gemischtes Volk, aber ich muss "trotzdem" viel alleine machen. Andere Menschen sind nicht mein verlängerter Arm, sie sind sie selbst, mit ihren ganz eigenen Nöten, Bedürfnissen, Wünschen. Dazu gehört auch, die Profession des anderen zu respektieren und nicht "für umme" Expertenmeinung/-rat/-fertigkeiten einzuholen. Das wäre Ausnutzerei. Ein gewisser Austausch ist schon da, aber nicht in diesem hohen Mass, wie sie es hier suggeriert.

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Kommentare

piri am :

Ich gäb trotzdem was drum um deine Kontakte!
Ach weißt du, man kann doch nicht alle über einen Kamm scheren.

Violine am :

Man kann wirklich nicht alle über einen Kamm scheren.
Sonst wärest Du ein starker Routine-Freak, bist Du aber nicht (siehe eines Deiner letzten Postings: https://voller-worte.de/faul-vorsicht/ )

Ich habe noch so drüber nachgedacht und mich an einen Kommilitonen erinnert, der sich nicht so sonderlich ausgetauscht hat. Er brauchte - das ist nun 20 Jahre her - ein neues Laptop. Und hat sich NICHT mit anderen drüber ausgetauscht, sondern einfach irgendwas gekauft. Das war seltsam, aber ich erinnere mich nicht mehr deutlich an die Geschichte, was da so war. Ob das Laptop überteuert war oder sonst was. Damals hatte man noch nicht die Vielfalt an Geräten, die es heute gibt, und man tat besser daran, Rat einzuholen.
Andererseits hat er im Selbststudium Italienisch gelernt und das erfolgreich durchgezogen. Was ich selbst nie schaffen würde, denn ich brauche den sozialen Kontakt. Das Selbststudium war kein Selbstläufer, er wendet seine Kenntnisse fleissig an, indem er ins Land fährt und Kontakte knüpft und die auch hält.

Vllt. wäre es besser gewesen, die Autorin hätte das in ihrem Buch differenzierter dargestellt, mit Beispielen. Die Realität ist differenzierter und nicht so schwarz-weiss. Die Sehnsucht nach mehr Freundschaften ist da, das ist sie bei vielen Leuten, nicht nur bei Autisten. So sagte mir eine Freundin, die seit geraumer Zeit wieder Single ist, dass sie sich daran gewöhnen muss, dass nicht selbstverständlich jemand da ist, mit dem man etwas unternimmt. Dass sie viele Unternehmungen jetzt alleine machen muss (dabei ist sie nun wirklich eine extrovertierte und soziale Person, die leicht Kontakte knüpft).

Torsten am :

„Wenn man also etwa Handwerker, Steuerberater, Anwälte, Ärzte, Buchverleger oder Finanzexperten kennt, kann man viele Anforderungen des Alltags bereits bewältigen, bevor man sich an professionelle Adressen wenden muss.“

Den Satz verstehe ich nicht. Die genannten Personen sind doch allesamt Professionelle. Und die werden ihre Leistungen wohl kaum umsonst erbringen wollen, nur weil man sie kennt. Sie werden vielleicht ein paar Tipps geben, aber ob mir das zum Beispiel den Arztbesuch erspart, möchte ich doch sehr in Frage stellen.
Und nicht-autistische Menschen haben allesamt eine riesige Schar von Freunden, die dann noch ausnahmslos Berufe ausüben, die mir in meinem Alltag hilfreich sind? Wie zum Beispiel ein Buchverleger?
Was für ein hanebüchener Schwachsinn.

Violine am :

Ich habe das für den Satz eines stark gehandicapten Menschen gehalten. Da kann der Idealismus sehr hoch sein.
Ich habe dabei an eine Bekannte gedacht, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Sie sitzt im Rollstuhl und meinte mal irgendwas, wenn sie laufen könnte, wie sie dann hüpfen und springen würde (als sie irgendeine Sportsendung im Fernsehen sah). Sie ist klein und ziemlich dicklich, und würde sie laufen können, wäre sie noch lange keine Elfe aus der rhythmischen Sportgymnastik.

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